Ohne Freiwilligenarbeit geht bei Nichtregierungsorganisationen im Umweltbereich nichts. Doch wie mobilisiert man potenzielle Helferinnen und Helfer? Ein Netzwerktreffen für ökologisch Engagierte und Interessierte aus der Region Basel vom 6. November 2019 gab Tipps für ein erfolgreiches Vorgehen, machte Mut für Kooperationen und ermöglichte das direkte Gespräch mit anderen Umweltaktiven.
Text und Fotos von Pieter Poldervaart
«Gohts no?!»
Ob empört ausgerufen oder für sich gedacht, dieser Aufschrei steht häufig am Anfang einer Umweltinitiative. Es können Fluglärm, ungenügende Abfalltrennung oder Energieverschleiss sein, meist braucht es Emotionen, damit jemand aktiv wird. Das machte auch Martin Diethelm deutlich. In seinem Referat anlässlich des Netzwerktreffens, zu dem das Amt für Umwelt und Energie Basel-Stadt, die Quartierkoordination Gundeldingen sowie die Stadtteilsekretariate Kleinbasel und Basel-West am 6. November ins Kleine Klingental eingeladen hatten, betonte er, wie wichtig der «Faktor Herz» beim Mobilisieren ist. Diethelm muss es wissen, beschäftigt er sich als Gründer der Firma Kampagnenforum doch seit bald 20 Jahren mit der Frage, wie sich Empörung in Spenden, Unterschriften oder eine Demo-Teilnahme ummünzen lässt.

Ich habe gesehen, wie wichtig ein systematisches Vorgehen ist, wenn man neue Menschen ansprechen oder eine Kampagne aufziehen will. Zudem gab es bei den Instrumenten mehrere Aspekte, die wir so noch nie auf dem Radar hatten.
AIDA und noch mehr Systematik
Nach wie vor gültig ist das AIDA-Modell als Werbewirkungsprinzip: Am Anfang müsse Aufmerksamkeit (Attention) erzeugt werden, dann das Interesse (Interest) geweckt und der Wunsch (Desire) nach einer Änderung hervorgerufen werden, was am Schluss im besten Fall zu einer Handlung (Action) führe. Diethelm ergänzte noch den Begriff Befriedigung (Satisfaction): Im Idealfall führt beispielsweise eine Spende oder die Teilnahme an der Pflanzung einer Hecke auch zur Befriedigung, die wiederum Voraussetzung für ein längerfristiges Engagement sei.

Ohnehin ist Systematik ein wichtiges Element im Werkzeugkasten professioneller Mobilisierungsagenturen. So erklärte Diethelm den «Planungsstern», der zeigt, wie verschiedene Einflussfaktoren dazu führen, dass ein Anliegen langfristig zum öffentlichen Thema wird. «Besonders häufig unterschätzt wird die sogenannte soziale Grosswetterlage», meinte der Campaigner, der bei Greenpeace seine Sporen abverdient hatte. Ein Ereignis wie Fukushima habe hierzulande etwa dazu geführt, dass statt der damals geplanten zwei bis drei neuen Atomkraftwerke der Ausstieg aus der Atomwirtschaft mehrheitsfähig und eingeleitet wurde. Ein solches Möglichkeitsfenster ist derzeit auch die weltweite Klimabewegung, die mit der schulstreikenden Greta Thunberg ihren Anfang genommen hatte.

Mobilisieren ist ein exzellentes Thema, das bestimmt allen etwas gebracht hat. Denn sämtliche Organisationen sind auf Ehrenamtliche angewiesen. Zudem inspiriert es, so viele Menschen aus einem ähnlichen Umfeld anzutreffen.
Strategien für Junge und Expats gesucht
Als weiteres systematisches Instrument nannte Diethelm die «Ladder of Engagement», also die Strategie, potenziell interessierten Menschen Sprosse um Sprosse neue Angebote zu präsentieren, die sie immer enger in die Organisation einbinden. Denn habe man bei einer Person einmal «den Fuss drin», also das Interesse geweckt, sei es einfacher, sie um weitere Leistungen anzufragen. Den Anfang macht die Medienarbeit. Eine zweite Sprosse erklimmt man, wenn man Sympathien generiert und dank Likes auf Facebook und anderen Social Media zu neuen Adressen kommt, die man direkt anschreiben kann. «Mails sind nach wie vor das beste Tool für einen direkten Kontakt», so der Kommunikationsexperte. Mit einem Mail oder einem Newsletter könne man in regelmässigen Abständen neue Mitmachmöglichkeiten vorstellen, von der spezifischen finanziellen Unterstützung über die Teilnahme an Veranstaltungen bis zum Besuch einer Sitzung – wo die Person allenfalls persönlich angeworben werden kann. Damit sich jemand stärker auf eine Organisation einlasse, sei die Identifikation wichtig: Wenn etwa eine Texterin anbietet, sämtliche schriftlichen Dokumente des Vereins zu redigieren, ist das eine äusserst wertvolle und darüber hinaus langfristige Leistung. Als letzter Schritt kann eine so eingebundene Person vielleicht motiviert werden, selbst eine Führungsaufgabe zu übernehmen und etwa dem Vorstand beizutreten. Idealerweise arbeite der Verein aber so, dass sämtliche Angebote – ob niederschwellig oder sehr verbindlich – parallel ablaufen und damit für jede Zielgruppe die passende Möglichkeit bereitstehen.
Ein Problem ist die Tatsache, dass sich vor allem Junge nicht mehr so gern an einen Verein binden und dort langfristige Aufgaben übernehmen. Expats wiederum leben berufsbedingt nur einige Monate oder Jahre in derselben Region, haben aber womöglich durchaus Interesse und Kompetenzen, sich zu engagieren.Nach Diethelms Präsentation konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer frei zirkulieren, an sieben Flipcharts zu je einer Frage diskutieren und Antworten auf die jeweils gestellte Frage notieren. Die 45 Minuten wurden intensiv genutzt, die Gruppen mischten sich ständig neu und führten spontan zu weiteren Gesprächskreisen. In der Schlussrunde präsentierten die Betreuerinnen und Betreuer der sieben Flipcharts die Ergebnisse:
Kenne ich die Engagement-Treppe? Wenn ja, woher?
Kaum jemand kennt das oben erwähnte Mobilisierungsinstrument der «Ladder of Engagement». Zudem macht es die heutige «Instant-Gesellschaft» schwer, Menschen über Einzelaktionen hinaus an eine Organisation zu binden. Als sinnvoll erachtet wird es, die eigenen Erfahrungen aus der Vereinstätigkeit an Dritte weiterzugeben und regelmässig Feste und ungezwungene Treffen abzuhalten – lustvolles Engagement beflügelt.
Habe ich die Engagement-Treppe schon einmal angewendet, und wenn ja, mit welchem Nutzen?
Um derart systematisch zu arbeiten, braucht es gewisse Kapazitäten, die manchen Nichtregierungsorganisationen (NRO) fehlen. Ein «Haus der Vereine» könnte da Abhilfe schaffen, ebenso der Sharing-Gedanke – also Infrastruktur und Wissen mit anderen NRO zu teilen. Eine Herausforderung ist es, potenzielle Mitstreiterinnen und Mitstreiter zwar persönlich anzuschreiben, aber dennoch nicht zu aufdringlich zu wirken.
Was sind meine Strategien und Massnahmen für mehr Engagement?
Wer sich für etwas ehrenamtlich einsetzt, will den Sinn hinter dem Projekt spüren. Eine begeisternde Idee und erreichbare Ziele und Zwischenziele sind sehr wichtig. Es lohnt sich auch zu fragen, was die Freiwilligen von ihrem Mitmachen haben: Befriedigung, neue Erfahrungen oder Erlebnisse, ein Praktikum oder sogar einen wirtschaftlichen Vorteil. Allenfalls kann es sinnvoll sein, einzelne Freiwillige eng zu coachen, damit sie sich die Arbeit auch zutrauen – und so ausführen, wie es dem Verein am besten dient.
Meine Erfahrungen beim Mobilisieren: Was würde ich besser machen?
Am effektivsten ist die persönliche Ansprache: Es lohnt sich, das Anliegen im eigenen Umfeld zu thematisieren. Zu prüfen sind auch Partnerschaften: Im Vorfeld der Klimademo 2019 etwa wurden für die Velo-Sternfahrt verschiedenste Organisationen angesprochen, die auf den Routen der Sternfahrt Unterstützung boten. Wichtig ist auch, sich unter Gleichgesinnten zu vernetzen, Beispiele sind der Dachverband Naturforum Regio Basel oder die Plattform BaselWandel.
Positive Erfahrungen werden auch mit zielgruppen- und genderspezifischen Aktionen gemacht. Kleine Aktionen sind durchaus wertvoll. Schliesslich lohnt es sich, auf Multiplikatoren zu setzen, etwa Kinder, welche die Botschaft dann an ihre Eltern herantragen.
Welcher Stellenwert hat Inspiration und Engagement bei meiner Arbeit, in meiner Organisation, bei mir selbst?
Lustvoll und effizient, das sind zwei Voraussetzungen, wie gemeinsam gearbeitet werden sollte, damit das Mitmachen Spass macht. Denn Verbissenheit lässt die Strahlkraft auch von wichtigen Botschaften verblassen. Nötig sind natürlich auch Kompetenzen, zudem bekannte Gesichter, die sich öffentlich mit der Botschaft identifizieren, und schliesslich die Authentizität, mit der die Botschaft vertreten wird. Auch diese Diskussionsgruppe betonte, wie wichtig kleine Erfolge und ihre Kommunikation sind. Aus ihnen können grössere Erfolge wachsen, wobei die gesteckten Ziele immer erreichbar bleiben müssen.
Welche Kampagnen kenne ich und was habe ich davon noch in Erinnerung?
Ob Stop-Aids, Anti-Shell, Nestlé-tötet-Kinder oder HEKS (Wellkarton als Kinderzimmer), meist sind es Bilder, die in Erinnerung bleiben. Selbst die Gilets Jaunes zeigen, dass es das Visuelle ist, was Eindruck macht – wobei der finanzielle Aufwand minimal bleiben kann. Flotte Sprüche («Trinken mit Linken», «Im Minimum en Gummi drum») bleiben ebenfalls im kollektiven Gedächtnis haften. Ein Problem bleibt, wie die Generation der U20 bis U30, die Plakate, Zeitungen und Nachrichten häufig ignorieren, mit solchen Botschaften angesprochen werden können.
Welche Rolle haben die Medien für die Mobilisierung?
Medienarbeit muss weitergedacht werden als vor 20 Jahren. Nach wie vor sind Berichte in Radio und Zeitungen sehr wertvoll, doch auch die eigenen Newsletter, Publikationen und Webseiten müssen gepflegt werden. Als weitere Bereiche der Medien sind Social Media und Inserate zu verstehen. In Bezug auf Basel wurde geklagt, es fehle eine interessierte Medienlandschaft, welche die Themen der Vereine aufnehme – teilweise aufgrund mangelnder Kapazitäten der Redaktionen. Diese Schwachstelle kann aber auch zur Chance werden, indem gut verfasste, aktuelle Medienmitteilungen gelegentlich praktisch unverändert abgedruckt werden.